Schock-Studie des WWF: Seit 1970 zwei Drittel der Tierwelt verschwunden

Unserer Erde geht es schlecht: Schmelzende Pole und Naturkatastrophen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter steckt das leise Verschwinden unzähliger Tierarten. Wie der Living Planet Index 2020 des WWF zeigt, nimmt die Biodiversität ab, die Tierbestände sinken enorm: Seit 1970 sind die überwachten Wirbeltierbestände um zwei Drittel zurückgegangen.

WWF Studie
Der Living Planet Index des WWF verzeichnet einen Rückgang der Wirbeltierbestände um 68% in 46 Jahren. © Romana-stock.adobe.com

Der Living Planet Index (LPI) ist ein Gradmesser für den ökologischen Zustand der Erde und zeigt die Entwicklung bestimmter Wirbeltierpopulationen, also Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische. 2020 wurde der LPI zum 13. Mal veröffentlicht – mit alarmierenden Erkenntnissen: Die 20.811 überwachten Wirbeltierpopulationen sind von 1970 bis 2016 um durchschnittlich 68% zurückgegangen!

Selbstverständlich geht nicht der Bestand jeder betrachteten Art zurück: Die Populationsgröße etwa der Hälfte der Arten im LPI geht zurück, die Bestände der anderen Hälfte sind stabil oder wachsen.

So stark sind die einzelnen Kontinente betroffen

Der Index zeigt die durchschnittliche prozentuale Veränderung der Bestandsgröße aller erfassten Populationen seit 1970 weltweit. Von Region zu Region gibt es dabei starke Unterschiede:

  • Europa & Zentralasien: durchschnittlicher Rückgang um 24%
  • Nordamerika: durchschnittlicher Rückgang um 33%
  • Australien/ Ozeanien/ Südasien: durchschnittlicher Rückgang um 45%
  • Afrika: durchschnittlicher Rückgang um 65%
  • Lateinamerika und Karibik: durchschnittlicher Rückgang um 94%

Es wird schnell deutlich, dass vor allem Süd- und Mittelamerika einen enormen Rückgang der Artenvielfalt zu verzeichnen haben. Das hängt damit zusammen, dass Tropenwälder besonders stark verschwinden. Sie beheimaten 50% der biologischen Vielfalt auf der Welt.

In Bezug auf die unterschiedlichen Lebensräume sind Feuchtgebiete besonders stark betroffen. Hier schwindet die Artenvielfalt offenbar noch schneller als in anderen Lebensräumen: In Feuchtgebieten wurden mehr als 3700 Populationen von 944 verschiedenen Tierarten beobachtet, der LPI misst hier einen Rückgang der Bestände um 84% zwischen 1970 und 2016. Besonders betroffene Tierarten sind hierbei Süßwasseramphibien, Reptilien und Fische.

Seit 1700 sind dem WWF zufolge bereits über 90% aller Feuchtgebiete verloren gegangen.
Regenwald
Die Tropen sind besonders stark vom Rückgang der Artenvielfalt betroffen. © guentermanaus-stock.adobe.com

Wie verlässlich ist der LPI?

Beim Living Planet Index handelt es sich um Daten von knapp 21.000 Wirbeltierbeständen. Somit deckt er nur einen kleinen Teil aller Wildtiere ab. Weitere Kritikpunkte sind:

  • Jeder Bericht hat eine andere Grundpopulation an zu untersuchenden Beständen: Für den Bericht 2020 wurden beispielsweise mehr als 4000 neue Bestände mit aufgenommen. Somit sind die einzelnen LPIs nicht miteinander vergleichbar.
  • Der LPI bezieht sich nur auf Wirbeltiere. Insekten werden zwar betrachtet, fließen aber nicht in den Index mit ein.
Über den weltweiten Artenschwund sagt der Index somit nur wenig aus. Dennoch gilt die Datenbasis von Tieren aus aller Welt und unterschiedlichen Lebensräumen als solide und zeigt eine alarmierende Tendenz, die dringend ernst genommen werden muss.

Insektensterben: Deshalb ist es so dramatisch

Beim Living Planet Index fließen nur Wirbeltiere zur Berechnung des Index ein. Die schätzungsweise rund 5,5 Millionen verschiedenen Insektenarten werden dabei nicht beachtet. Aber auch die Bestände vieler Insekten nehmen extrem stark ab. Dem WWF zufolge zeigen Studien, dass allein in Europa 39% aller Graslandschmetterlinge verschwunden sind. 500.000 Insekten sind weltweit vom Aussterben bedroht.

Das ist besorgniserregend, weil Insekten sehr viele wichtige Aufgaben im Ökosystem übernehmen:

  • Sie bestäuben Pflanzen.
  • Sie regulieren Schädlinge.
  • Sie bearbeiten Böden.
  • Sie sind die Nahrungsgrundlage für unzählige Tierarten.
Artenvielfalt
Insekten sind ein wichtiger Teil jedes Ökosystems. © kathomenden-stock.adobe.com

Gründe für den Rückgang der Artenvielfalt

Die Gründe für den Rückgang der Biodiversität liegen in erster Linie beim Menschen. Durch den rapiden Bevölkerungszuwachs, die Urbanisierung und den globalen Handel nimmt er massiven Einfluss auf die Erde und verursacht große Schäden in „beispielloser Geschwindigkeit“, wie es im Bericht des WWF heißt.

Menschlich verursachte Gründe sind unter anderem:

  • Überfischung
  • Verschmutzung von Land und Wasser
  • Lebensraum-Zerstörung für Landwirtschaft, Siedlungen und Straßen
  • Verkehr
  • invasive Arten

Seit dem Jahr 1970 ist der ökologische Fußabdruck des Menschen größer als die Regenerationsfähigkeit der Erde. Die Erde kann sich also nicht mehr von dem erholen, was der Mensch ihr „wegnimmt“.

Überfischung
Überfischung ist ein großes Problem für alle Meeresbewohner – und letztlich auch für den Mensch. © Björn Wylezich-stock.adobe.com

Was jetzt zu tun ist - und warum

Da der Auslöser für den drastischen Rückgang der Artenvielfalt zum größten Teil der Mensch ist, muss auch er es sein, der dem entgegenwirkt. Nicht nur für die Tiere, sondern auch für ihn selbst. Ohne eine intakte Natur kann der Mensch nicht leben. 

Der Mensch braucht die Arten- und Ökosystemvielfalt für:

  • Nahrungsproduktion
  • Regulierung des Klimas
  • Luftqualität
  • Wasserqualität
  • Wasserversorgung
  • Hochwasserschutz
  • Bestäubung von Pflanzen
  • Gewinnung von pflanzlichen Medikamenten
  • psychische Gesundheit
  • Lebensqualität

Die Bestandsrückgänge der Wildtiere sprechen für sich: Umwelt- und Naturschutz duldet keinen längeren Aufschub mehr. Jeder kann dabei bei sich anfangen und sein Konsumverhalten überdenken. Zusätzlich muss selbstverständlich auch die Politik handeln. Es müssen zum Beispiel mehr Naturschutzgebiete ausgewiesen und nachhaltige Landnutzung betrieben werden. Das heißt aber nicht, dass nicht auch jeder im Kleinen anfangen kann, wenn er sich folgende Fragen stellt:

  • Woher kommen die Lebensmittel/Kleidungsstücke/Möbel, die ich kaufe?
  • Kann ich auch regional einkaufen?
  • Muss es täglich Fleisch sein?
  • Kann ich auf den Kauf von Meeresfisch verzichten?
  • Wo kann ich das Rad oder die Bahn anstelle des Autos nehmen?
  • Gibt es die Lebensmittel, die ich kaufen möchte, auch in Glas anstelle von Plastik?
  • Trenne ich meinen Müll richtig?
  • Brauche ich das Produkt, das ich gerade kaufen will, wirklich?
  • Kann ich mein Urlaubsziel auch mit der Bahn statt dem Flugzeug erreichen?

Es geht gar nicht darum, alles richtig zu machen. Es geht vielmehr darum, sich dem Problem bewusst zu werden und es nicht einfach zu ignorieren: Manchmal reicht es schon, nur ein bisschen etwas richtig zu machen…

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